Bis vor kurzem arbeitete ich in einer Erstaufnahme für Flüchtlinge in Dresden. Durch die geringe Ankunft neuer Flüchtlinge war die Einrichtung jetzt nur noch zu einem Achtel belegt, weswegen ich dort jetzt nicht mehr arbeite. In diesem Artikel möchte ich ein paar Mediations-relevante Erkenntnisse niederschreiben, die ich dort gesammelt habe.

Auch wenn ich, wie viele meiner Kollegen, das Ideal der Mediation sehr hoch halte, musste ich mir doch eingestehen, dass gewisse Bedingungen einfach nicht erfüllt sind, um erfolgreich zu mediieren. Durch meine über-ausgeprägte Selbstreflexion habe ich als erstes meine eigenen Kompetenzen in Frage gestellt. Nach einer Supervision mit meinem früheren Ausbilder habe ich gesehen, dass es nicht nur mir so geht und welche Stolpersteine es in diesem Kontext  eigentlich so gibt.

Der ausbleibende Auftrag

Mediation muss auf Freiwilligkeit beruhen. Bei den meisten Konflikten habe ich jedoch keinen Vermittlungsauftrag bekommen. Entweder haben die Betroffenen einfach keinen Konflikt gesehen oder waren nicht zu einer Einigung bereit. Sei es aus mangelnder Verantwortungsübernahme oder wegen dem Glauben, dass die andere Seite nicht einigungsfähig wäre. Dieser Punkt war zwar in der Einrichtung stark vertreten, ist aber kein reines Migrationsphänomen. Die schwierige Arbeit mit Mediation im Zwangskontext ist nichts neues und muss hier nicht weiter beleuchtet werden.

Eigenverantwortlichkeit

Hier war das stärkste Problem. Die meisten Menschen, mit denen ich in Kontakt gekommen bin, haben von vornherein die Erwartung gehabt, dass ich ihre Probleme löse. Dadurch bin ich irgendwann sehr schnell von meiner Rolle als Mediator zum Sozialarbeiter oder Schlichter gewechselt. Viele haben es einfach nicht aufbringen können, Verantwortung für ihr eigenes Leben zu übernehmen. Das ist normal und hat seine Gründe. Zum einen, weil sie mit einer Erstaufnahmeeinrichtung in einer Umgebung sind, wo sie kaum Autonomie haben. Der zweite Grund ist, dass sie nach einer schwierigen Flucht in einen Zustand der Unsicherheit kommen. Sie kommen zum ersten Mal etwas zur Ruhe und stehen vor einer ungewissen Zukunft in einem fremden Land, einer fremden Sprache mit Regeln, die auf sie willkürlich wirken. Sie sind komplett unserer Gunst ausgeliefert und wissen nicht, was für sie entschieden wird und wie es dann weitergehen soll. Selbst ohne diese Faktoren, ist der Aufbau eines komplett neuen Lebens immer eine Zeit der Unsicherheit. In dieser Situation sind sie ungemein angespannt. Es heißt, dass ein Mensch bis zu 3 Monaten in diesem Zustand der Unsicherheit aushalten kann, ihn vielleicht sogar konstruktiv einsetzen kann (wenn die emotionale Stabilität da ist. Dazu mehr im nächsten Punkt). Jedoch sind viele Flüchtlinge über ein halbes Jahr in diesem Zustand und verlieren so den Halt ihres Lebens. Durch diese Bedingungen ist es für einen Großteil der Leute schwer bis unmöglich ein selbstbestimmtes Leben zu führen und die nötigen Selbstaktivierungskräfte aufzubringen, die es braucht um Verantwortungen zu übernehmen.

Emotionale Stabilität

Wenn es um Grenzen der Mediation geht, wird auch ausgiebig debattiert, ob man mit geistig erkrankten Menschen Mediation durchführen kann. Das selbe trifft auf Menschen zu, die emotional instabil sind. Wer ein Trauma erleidet, dessen Gehirn wird komplett auf den Kopf gestellt. Die Erfahrungen, die gemacht wurden, werden fragmentiert und sind nicht mehr wie normale Erinnerungen abrufbar. Sie werden unkontrollierbar und können durch ein beliebigen Stimulus aktiviert werden. Das kann ein Klang, ein Geruch oder ein Gefühl sein. Normalerweise würde ich sehr stark mit Gefühlen arbeiten. In der Arbeit mit traumatisierten Menschen – und das ist mir erst im Laufe meiner Supervision danach klargeworden – funktioniert das nicht. Sobald es um Gefühle geht, kann es sehr schnell dazu kommen, dass die traumatisierte Person in einen unkontrollierbaren Film hineingezogen wird und nicht mehr rational an einem Problem arbeiten kann. Was Menschen an dieser Stelle brauchen ist Stabilität und Abstand. In einem Flüchtlingsheim, dass noch immer ein Verbindungsstück zur Flucht ist, wird das jedoch nicht passieren. Ich hatte viele Gespräche mit Flüchtlingen, die Suizidgedanken geäußert haben. Alles was ich für sie tun konnte, war für sie wie ein Seelsorger zur Seite zu stehen, nicht als Coach. Für die Behandlung die eigentlich nötig wäre, ist momentan nirgendwo Personal da.

Die Spannungen, die von diesem Kontext ausgehen, sind wie ein Minenfeld. Überall kann es plötzlich ohne Vorwarnung krachen. Das macht die Arbeit in diesem Kontext so schwierig. Und diese Spannungen betreffen jeden. Worunder ich am meisten gelitten habe, war nicht die Arbeit mit den Flüchtlingen, sondern den Spannungen im Team. Von der ständigen Atmosphäre bleibt kaum jemand verschont und die meisten Mitarbeiter wurden für solche Bedingungen nicht ausgebildet. Auch ich habe gemerkt, wie schwer es ist, sich von diesen Dingen nicht vereinnahmen zu lassen und abzugrenzen. Die üblichen Schwierigkeiten des Miteinanders, denen jedes neue Team in seiner Formungsphase ausgesetzt ist, werden durch diese Belastungen nochmal verstärkt.

Dieser Beitrag wirkt so, als wären Mediatoren in einem Flüchtlingsheim fehl am Platze. Manchmal kam ich mir tatsächlich so vor, jedoch möchte ich trotzdem klar stellen, dass das nicht der Fall ist. Auch wenn klassische Mediationen in diesen Bedingungen so gut wie gar nicht funktioniert, kann eine Mediationsausbildung sehr wertvoll sein. Besonders das mediative Gespür für Bedürfnisse, Konfliktanalysen und das Aushalten von starken emotionalen Ausbrüchen hat mir geholfen, mit Problemen umzugehen. Man sollte sich jedoch klar vor Augen halten, welche Grenzen es gibt.

Ein Mediator im Flüchtlingsheim ist möglich, aber er macht keine Mediationen

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